dimanche 24 juin 2018



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Alte Nazis, neue Widersprüche

Der 17. Juni 1953 in der DDR: Arbeiteraufstand oder faschistischer Putsch?
Zweierlei Widersprüche zeigten sich am 17. Juni 1953: Der Angriff rechter Sozialdemokraten, Faschisten und Westbehörden auf den jungen Sozialismus in der DDR. Und die Widersprüche im Sozialismus: Die SED-Führung hatte den Arbeitern von oben verordnet, ihre Arbeitsnormen zu erhöhen. Sie hatte diese falsche Politik zwar schon vor dem 17. Juni korrigiert. Trotzdem waren viele Arbeiter so unzufrieden, dass sie den Reaktionären folgten. Zum Jahrestag erklären Mainstream-Medien und Konzernpolitiker wieder einmal die verordnete Sicht auf den 17. Juni. UZ
Am 17. Juni 1953 hat sich das deutsche Volk in der sowjetischen Besatzungszone und in Ost-Berlin gegen die kommunistische Gewaltherrschaft erhoben und unter schweren Opfern seinen Willen zur Freiheit bekundet. Der 17. Juni ist dadurch zum Symbol der deutschen Einheit in Freiheit geworden.
Gesetz über den Tag der deutschen Einheit, verabschiedet vom Deutschen Bundestag am 3. Juli 1953.
„Die Unruhen, zu denen es gekommen ist, sind das Werk von Provokateuren und faschistischen Agenten ausländischer Mächte und ihrer Helfershelfer aus deutschen kapitalistischen Monopolen.“
Bekanntmachungen der Regierung der DDR, ND v. 18.6.1953
„[Berlin, 17. Juni 1953,] 9 Uhr 30: Frie­drich- Ecke Zimmerstraße werden die Grenzschilder niedergerissen. Die Baracke der [Volkspolizei]-Grenzkon­trolle Leipziger Straße wird angezündet. […] Die [Volkspolizei]-Dienststelle im Columbus-Haus am Potsdamer Platz wird gestürmt, die Vopo ergibt sich, Akten wirbeln durch die Luft. […] 15 Uhr: Am alten Rathaus herrschen Tumulte. Abzeichen der SED und ihrer Gliederungen werden abgerissen. – Am ‚Regierungsgebäude‘ geben T 34 Salven ab. Am Potsdamer Platz feuern MG und MP. – In der Friedrichstraße wird eine [Staatssicherheits]-Dienststelle gestürmt. […] 17 Uhr 30: Das Columbus-Haus am Potsdamer Platz brennt. […] 19 Uhr 30 Die Demonstranten stecken unter heftigem Beschuss das Haus Vaterland am Potsdamer Platz in Brand.“
Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen: Juni-Aufstand. Dokumente und Berichte über den Volksaufstand in Ostberlin und in der Sowjetzone 1953.
„Brandenburg/Havel: Es wurde das [Haus des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes] gestürmt, das Haus der deutsch-sowjetischen Freundschaft und eine Reihe von Büchereien erbrochen und stalinistische Literatur in Bergen auf die Straße geworfen und verbrannt. Ganze Wagenladungen voll Akten wurden einfach in die Havel geworfen. […] Von den russischen Truppen wurde bisher nicht eingegriffen. […] Später wurde das Amtsgericht Steinstraße gestürmt; die zum Schutz eingesetzte Volkspolizei schnallte die Koppel ab und leistete keinerlei Widerstand. […] Wir wollten auch zum Zuchthaus marschieren. Aber das wurde verriegelt und abgesperrt. Die von der [Volkspolizei] eingesetzten Bereitschaftswagen wurden von der Menge umgekippt. Mehrere als Kommunisten erkannte Volkspolizisten wurden von der Menge geschlagen. […] Von der Menge wurden fünf russische Soldaten entwaffnet und schwer verprügelt. Seitens der Russen wurde nur in die Luft geschossen. Die sowjetischen Soldaten standen dem ganzen Geschehen völlig fassungslos gegenüber.“
Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen: Juni-Aufstand.
„Filmfabrik Agfa-Wolffen, [Bitterfeld] […] Der Generaldirektor versprach ohne weiteres die Abschaffung der letzten Normenerhöhung, aber das genügte der zwölfköpfigen Delegation nicht. Sie wollte auch durchsetzen, dass die SED und auch ihre Herrschaft aus dem Werk verschwinde. Schon während der Verhandlungen war ein großer Teil der Belegschaft in geschlossenem Zug nach Bitterfeld gezogen, hatte dort das Rathaus besetzt, dann die Volkspolizeistation und schließlich 200 bis 300 politische Gefangene aus dem Gefängnis befreit und den Staatsanwalt verprügelt. […] Die ersten Demonstrationszüge formierten sich am Mittwoch, dem 17. Juni 1953 gegen 10 Uhr vormittags. […] Vor Beginn der Kundgebung wurde der Kraftwagen des Bitterfelder Polizeidirektors Nossek umgekippt. Auf dem Weg zur Kundgebung wurden sämtliche Plakate und Bilder von Pieck und Ulbricht heruntergerissen […]. Von Demonstranten wurde der Personalchef der Konsumzentrale, Rüger, SED-Funktionär, im Laufe einer Auseinandersetzung mit Arbeitern in der Karl-Marx-Straße totgeschlagen.“
Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen: Juni-Aufstand.
„Der Betriebsschutzmann Willi Hagedorn aus Rathenow, der sich einer größeren Gruppe verbrecherischer Elemente in den Weg stellte, wurde von ihnen mit Standen und Gummischläuchen erbarmungslos zu Boden geschlagen. […] Die Frau, mit der wir uns heute auf der Straße unterhalten, war Zeuge dieser Untat. ‚Schlagt ihn tot, den Hund, oder hängt ihn auf!‘ [riefen sie …] Durch die Straßen haben sie ihn auf dem Pflaster entlanggeschleift. Er muss schon tot gewesen sein, da traten sie ihn noch mit den Füßen in den Leib.“
„So zeigte der Faschismus seine Fratze“, in: ND v. 23.6.1953.
„Für die Herbeiführung einer festen öffentlichen Ordnung im sowjetischen Sektor von Berlin wird befohlen: 1. Ab 13 Uhr des 17. Juni 1953 wird im sowjetischen Sektor von Berlin der Ausnahmezustand verhängt. 2. Alle Demonstrationen, Versammlungen, Kundgebungen und sonstige Menschenansammlungen über drei Personen werden auf Straßen und Plätzen wie auch in öffentlichen Gebäuden verboten. 3. Jeglicher Verkehr von Fußgängern und der Verkehr von Kraftfahrzeugen und anderen Fahrzeugen wird von 21 Uhr bis 5 Uhr verboten.“
Befehl des Militärkommandanten des sowjetischen Sektors von Berlin, Generalmajor Dibrowa.
Welcher Weg zum Sozialismus? „Die Ursachen der entstandenen ernsten Situation in den entscheidenden Werften und Betrieben sind in erster Linie zu suchen in der Unzufriedenheit großer Teile der dort beschäftigten Arbeiter und Angestellten. Von dieser Unzufriedenheit waren nach unseren Feststellungen auch große Teile der Parteimitglieder erfasst. Diese Unzufriedenheit begründet sich hauptsächlich auf den administrativ durchgeführten Normerhöhungen ohne Aufklärung. Die Auswirkung derselben war so, dass der größte Teil der von der Normerhöhung betroffenen Arbeiter wirtschaftlich schwer geschädigt wurden, weil sie keine Gelegenheit hatten, ihre Norm weiter überzuerfüllen und daher weniger Geld in ihre Lohntüte bekamen.“
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Rostock: Zusammenfassender Bericht über die Ereignisse am 17. und 18.6.1953 in Rostock, 29.06.1953.
„‚Die Normendiskussion wurde bei uns vorbildlich geführt‘, meint [der Parteisekretär Paul Müller], ‚daran gibt es nichts zu rütteln.‘“ „[D]er verdiente Aktivist, Genosse Scherpinsky […], erklärte: ‚Die Bauarbeiter sehen den Genossen Müller lieber gehen als kommen. Das liegt daran, daß er ihnen bei jeder Kleinigkeit über den Mund fährt, anstatt sie zu überzeugen.“ „[Der Maurerbriga­dier Rocke erzählte uns:] ‚[Man]‘ erklärte mir […], dass ich mir darüber klar sein soll, dass sie auf den Großbaustellen nur Brigaden arbeiten lassen, die ihre Norm erhöht haben. Daraufhin haben wir unsere Norm um durchschnittlich 6,5 Prozent erhöht. Aber in meinen Augen war das eine regelrechte Erpressung.‘“ „Wenn nur mal jemand richtig mit uns gesprochen hätte, hätten wir unsere Normen sicher erhöht [‚erzählte uns der Brigadier Rocke.‘] Wir sind doch keine Unmenschen. Aber wir lassen uns nicht die Pistole auf die Brust setzen.‘“
„Es wird Zeit, den Holzhammer beiseite zu legen“, ND v. 14.6.1953.
Reaktionäre aus dem Westen „Es ist klar, dass der unmittelbare Anlass zum 17. Juni auf die Agentenarbeit der Westmächte zurückzuführen ist. […] Die Ursache aber ist nicht der Anlass – und die Ursache zu den Ereignissen liegt in der DDR. Denn wenn die Agenten keinen Boden vorgefunden hätten, der sich für ihre Arbeit eignete, so wären sie sofort isoliert worden oder hätten gar nicht erst losgeschlagen.“
Stefan Heym (Schriftsteller, parteilos): Memorandum an Oberst Sokolow, Chefredakteur der Täglichen Rundschau, Zeitung der Roten Armee in der DDR.
„Die Bundesregierung unterstützt jederzeit und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln den Willen der Bevölkerung in der Sowjetzone nach Befreiung von dem kommunistischen Joch der Sozialistischen Einheitspartei“.
Konrad Adenauer: Regierungserklärung in der 85. Sitzung des Deutschen Bundestages, 14. September 1950.
Schlussfolgerungen „Die Partei zog eine Reihe wichtiger Lehren. [… Eine der wichtigsten Maßnahmen] war die Bildung der bewaffneten Kampfgruppen der Arbeiterklasse in den sozialistischen Betrieben. […] Von großer Bedeutung für die Entwicklung des politischen Bewusstseins der Werktätigen und für die Überwindung der damaligen Schwierigkeiten war die Tat der Genossin Frida Hockauf aus dem VEB Mechanische Weberei Zittau […], dem größten Webereibetrieb der DDR. […] Um die Produktion indus­trieller Konsumgüter schneller zu erhöhen, verpflichtete sie sich, im Oktober 1953 10 Meter, im November 15 Meter und im Dezember 20 Meter mehr Stoff von bester Qualität zu weben.“
Werner Horn, aus der Reihe „Lektionen der Parteihochschule ‚Karl Marx‘ beim ZK der SED“.
Quelle: unsere-zeit.de

2018-06-16 17:19:23

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